STANDARDSCHUSSAUSGABE: Die 6 Schritte im Detail - Trainingstipp vom Bundesheer #08

Autor: Vizeleutnant Gerald Weihs (Hauptlehrunteroffizier und Schießausbilder an der HUAk in Enns)

In meinem letzten Beitrag ging es um den Wirkungsdrill, und in diesem Artikel möchte ich euch - als logische Fortsetzung - schildern, wie wir an der Heeresunteroffiziersakademie in Enns (Österreich) die Standardschussabgabe trainieren.

Was ist die Standardschussabgabe?
Der Begriff klingt zunächst etwas technisch und holprig. Im Bundesheer wird er deswegen manchmal auch als „hopping“ bezeichnet. Allerdings ist dies kein offizieller Begriff, sondern hat sich über die Jahre von Ausbilder zu Ausbilder überliefert.

Im Wesentlichen beschreibt die Standardschussabgabe das Verhalten des Schützen direkt vor, während und nach dem Schusswaffengebrauch. Wichtig ist zu unterscheiden, in welchem Szenario der Waffenträger handelt:

  • Handelt es sich um einen militärischen Einsatz gegen eine gegnerische Armee (z.B. Landesverteidigung)?
  • Oder handelt es sich um einen Einsatz gegen einen Tatbestand im Sinne des österr. Strafgesetzbuches. Etwa zur Unterstützung einer zivilen Behörde oder im Rahmen eines Bewachungsauftrags?

Im Zusammenhang mit Punkt zwei möchte ich das „Jedermannsrecht“ auf Notwehr gemäß §3 StGB erwähnen, da der tatsächliche Schusswaffengebrauch zur reinen Vermögensverteidigung nicht zulässig ist.

Die Schritte der Standardschussabgabe

Wie läuft nun die Standardschussabgabe in der Praxis ab? Sie besteht aus 6 Schritten:

  1. Ansprache des Täters und Androhung des Waffengebrauchs
  2. Beendigung des Angriffs
  3. Gefechtsfeldbeobachtung
  4. Waffenkontrolle
  5. Umfeld- und Selbstkontrolle
  6. Erste-Hilfe-Leistung

Im folgenden Szenario befindet sich eine bewaffnete Einsatzkraft in einer lebensbedrohlichen Situation – zum Beispiel, wird sie bei Ausübung eines Wachdienstes angegriffen. Diese Ausgangssituation erhöht gleichzeitig die Komplexität des Trainings.

1. Ansprache des Täters und Androhung des Waffengebrauchs

Ein wesentlicher Fokus der Wahrnehmungsschulung liegt auf den Händen des Täters. Obwohl es normal ist, in alltäglichen Situationen dem Gegenüber ins Gesicht oder in die Augen zu schauen, ist es wichtig zu verstehen, dass die größte Gefahr von den Extremitäten des Täters ausgeht – insbesondere von seinen Händen und den dort gehaltenen Waffen oder waffenähnlichen Gegenständen.


Möglichkeit des Trainings, auf die Waffenhand des Gegners zu schießen, hier mit Keiron Zielen

Erkennt die Einsatzkraft eine Waffe, setzt sie ihre Stimme und Körpersprache ein, um den Täter zum Ablegen der Waffe zu bewegen. Gleichzeitig droht sie mit dem Einsatz ihrer Schusswaffe und erhöht den Bereitschaftsgrad ihrer Waffe, indem sie sie zu einem Drittel aus dem Holster zieht und den Waffengriff überprüft.

Ansprache des Gegners mit "deeskalierender" Schutzhand.

2. Beendigung des Angriffs

In dieser Phase zieht die Einsatzkraft die Waffe und bringt sie in Anschlag. Je nach Lage kann der erste Schuss bereits als Deutschuss erfolgen, vor allem wenn der Täter die kritische Entfernung von 7 Metern unterschreitet. Näheres dazu im Blog-Artikel #7„Wirkungsdrill“

Die Einsatzkraft bekämpft den Täter mit Schnellschüssen, bis die Wirkung eintritt und der Angriff beendet ist. Die Solltrefferfläche ist der Oberkörper, optional auch der Bereich um das Becken. Solange die Waffe im Ziel ist, bleibt der Finger am Abzug. Die Einsatzkraft nutzt dabei den "Trigger-Reset" der Glock 17.

Fortgeschrittene Schützen bewegen sich während der Schussabgabe vom Täter weg, idealerweise in Richtung einer sicheren Deckung. Anfänger sollten jedoch den Grundsatz „Wirkung geht vor Deckung“ befolgen.

3. Gefechtsfeldbeobachtung

Nachdem der Gegner bekämpft wurde, erfolgt - noch mit der Waffe im Anschlag - die Gefechtsfeldbeobachtung. Die Einsatzkraft "scannt" das Gelände vor sich, insbesondere die Richtung, aus der der Täter gekommen sein könnte. Im militärischen Kontext ist mit dem Nachstoßen weiterer Kräfte zu rechnen. Um die Initiative zu bewahren, verharrt die Einsatzkraft für einige Sekunden in der Feuerbereitschaft.

4. Waffenkontrolle

Nachdem die unmittelbare Gefahr gebannt ist, überprüft die Einsatzkraft den Zustand ihrer Waffe.

Waffenkontrolle mit gleichzeitigem Blick auf das Umfeld des Gegners.

Zunächst vergewissert sie sich, dass keine Störung (Hemmung) vorliegt. Danach kontrolliert sie den Füllstand des Magazins und führt, falls nötig, einen Magazinwechsel durch. Anschließend schaut sie in den Laderaum der Waffe, um sicherzustellen, dass sie geladen ist. Abschließend vergewissert sie sich, dass der Laderaum geschlossen und das Magazin fest in der Waffe fixiert ist.

5. Umfeldkontrolle und Selbstkontrolle

Nun, da die Feuerbereitschaft an der Waffe sichergestellt ist, überprüft die Einsatzkraft ihren eigenen Zustand. Sie führt eine oberflächliche Sichtprüfung auf Verletzungen durch. Polizeikräfte in ähnlichen Einsätzen, berichteten, dass aufgrund des hohen Stresspegels und der Hormonausschüttung, selbst erlittene Verletzungen nicht sofort wahrgenommen wurden.
Nachdem sie sicherstellt, dass sie keine Verletzungen hat, überprüft sie das Umfeld in einem 180-Grad-Bereich, sowohl seitlich als auch hinter sich. Als nächstes nimmt sie gegebenenfalls Kontakt mit Kameraden oder Dritten auf, die in das Geschehen involviert sein könnten. Diese Umfeldkontrolle führt die Einsatzkraft mit verringertem Bereitschaftsgrad aus, etwa in der "Sul-Position" (Low-Ready).

Sul-Position bzw. "Low Ready". Foto: Bundesheer/Dienstvorschrift - Schießen mit Handfeuerwaffen und Maschinengewehren

6. Erste-Hilfe-Leistung

Nach der Notwehrhandlung, bei der der Angreifer verletzt wurde, gilt dieser rechtlich als hilfebedürftige Person. Sobald der Angriff beendet ist und keine Gefahr mehr besteht, könnte das Unterlassen von Hilfeleistung als Straftat gemäß § 94 StGB gewertet werden.

Daher wird die Rettungskette durch Alarmierung eingeleitet. Ist die Einsatzkraft physisch und psychisch dazu in der Lage, nähert sie sich unter Eigensicherung dem verletzten Täter und leistet Erste Hilfe in Form lebensrettender Sofortmaßnahmen.
Es sei darauf hingewiesen, dass die Umsetzung dieses Schrittes stark vom Szenario abhängt, in dem die Einsatzkraft agiert.

Wie trainiere ich die Standardschussabgabe mit einem Soldaten?

Um solche Szenarien zu trainieren, verwende ich eine Kombination aus personifizierten Zielscheiben und den Mantis Laser Academy-Zielen, die die Solltrefferfläche markieren. Dabei geht es weniger darum, viele „10er“ zu schießen, sondern darum, dass der gesamte Ablauf der Standardschussabgabe möglichst flüssig und automatisiert verläuft. Der Soldat kann anhand einer Checkliste (siehe Bild rechter Rand) vor dem „Einschreiten“ nochmals die wesentlichen Schritte für sich visualisieren kann. 

Für fortgeschrittene Schützen führe ich zusätzlich eine Kraftausdauerbelastung von 3-4 Minuten durch, um die Stressreaktion des Körpers zu simulieren. Das genügt, um eine Alarmreaktion im Herz-Kreislaufsystem hervorzurufen, Stress zu verursachen und die Feinmotorik ein Stück weit hinunterzufahren.

Simulation der körperlichen Belastung bei erfahrenen Schützen

Methodische Weiterentwicklungen im Training

Eine neue methodische Weiterentwicklung im Training wird durch die Accurize Mini Targets ermöglicht die uns Andi vom myDRYfire.shop zu Verfügung gestellt wurden. Diese Ziele, werden wie die Keiron-Targets auf den personifizierten Scheiben montiert und mit Lasern beschossen. Die ersten Ergebnisse dieser Trainingsmethode werden wir in einem der nächsten Blogbeiträge teilen. 

Alle Bilder: Gerald Weihs

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Vzlt Gerlad Weihs
Vizeleutnant Gerald Weihs ist Schießausbilder an der österreichischen Heeresunteroffiziersakademie in Enns und Gast-Autor unseres Blogs. Aufgrund seiner Positionen schöpft er aus einem riesigen Erfahrungsschatz, in den er uns mit seinen Beiträgen exklusiven Einblick gibt.

Vielen Dank von den Lesern und dem myDRYfire-Team!

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